Frust statt Euphorie
2015 konnten sich die Flüchtlingshelferkreise in Bayern vor Helfern kaum retten. Doch nun ist der Personalstamm geschrumpft. Die Ehrenamtlichen fühlen sich vom Staat im Stich gelassen
Vor zwei Jahren war Johannes Betlejewski noch Feuer und Flamme: Der Münchner hatte sich 2017 freiwillig beim Flüchtlingsrat gemeldet, wollte Geflüchteten bei der Wohnungssuche helfen. Montag und Dienstag von 18 bis 21 Uhr hat die Beratungsstelle in der Sendlinger Straße geöffnet. „Flüchtlingen, die eine Wohnung suchen, mit den Formalien zu helfen“, beschreibt der Münchner seine damalige Aufgabe, für die er sich zweimal im Monat nach Feierabend Zeit nahm. Doch schnell merkte er, dass ihn seine ehrenamtliche Tätigkeit auslaugt: „Das fing schon bei der Uhrzeit an, ich bin ja auch berufstätig“, sagt er. Außerdem fehlte Betlejewski das „positive Feedback“. Auf dem leergefegten Münchner Wohnungsmarkt bezahlbaren Wohnraum für Flüchtlinge zu finden? „Ein hoffnungsloses Unterfangen.“ Dazu kamen weitere Gründe wie fehlende Sprachkenntnisse aufseiten der Flüchtlinge. Nach nur einem Jahr beendete Betlejewski seine ehrenamtliche Tätigkeit beim Münchner Flüchtlingsrat, einige seiner Mitstreiter taten es ihm gleich: „Da war schon eine große Fluktuation“, sagt er rückblickend.
Frustration unter den Helfern gibt es nicht nur in München: Die Euphorie, die 2015 viele Menschen dazu bewegte ist längst vergangen, viele haben ihr Engagement beendet – aus persönlichen Gründen, aber auch, weil sie das Gefühl haben, nichts bewirken zu können und dass ihnen vom Staat Steine in den Weg gelegt werden. Von den 25 Prozent der Bevölkerung, die sich seit 2015 aktiv in der Flüchtlingshilfe engagiert haben, war laut einer Studie des Institutes für Demografie Allensbach im Auftrag des Bundesfamilienministeriums 2017 noch weniger als die Hälfte übrig: Nur noch elf Prozent engagierten sich in diesem Bereich. Die Organisation Pro Asyl spricht in ihrem jährlich erscheinenden Heft zum „Tag des Flüchtlings“ von einem „grundsätzlichen Misstrauen gegenüber zivilgesellschaftlichem Engagement“ seitens des Staates.
Das führt dazu, dass immer mehr Flüchtlingshelfer frustriert das Handtuch werfen, wie auch Bernd Schüler von der Bundes-arbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (Bagfa) weiß: Dass die Zahl der Ehrenamtlichen so stark zurückginge, läge auch daran, „dass der Kampf mit den Behörden für viele extrem demotivierend ist.“ Die Bagfa ist der Bundesverband von über 500 Freiwilligenagenturen, die Ehrenamtliche beraten. Auch der Nachwuchs fehlt, sodass es laut Schüler inzwischen erforderlich sei, „sehr stark dafür zu werben.“
Der Freundeskreis Asyl der Bürgerhilfe „Für Einander“ in Elchingen im schwäbischen Landkreis Neu-Ulm zählte Anfang 2014 rund 80 aktive Mitglieder. Davon ist mittlerweile nicht einmal mehr die Hälfte übrig, wie Birgit Möller, Mitglied im Leitungsteam des Freundeskreises, erzählt. Dabei galt der Elchinger Helferkreis schon zu Beginn der Flüchtlingskrise als vorbildlich: 2015 berichtete sogar das ARD- Mittagsmagazin über Elchingen. „Es gibt nicht viele Helferkreise, die so gut durchorganisiert sind“, sagt Möller. Acht Teams gibt es, jedes wird durch einen Repräsentanten im Leitungsteam vertreten. In der Realität sei es jedoch so, dass die Umsetzung der Ideen, die im Leitungsteam entstehen, meistens auch an diesem Team hängen bleibt. Da sind sich Möller und ihre Kollegen Michael Schramm und Renate Wilbold-Vajagic einig.
Die meisten Unterstützer hätten zwar aus persönlichen Gründen aufgehört, doch der Frust habe sicher bei einigen zur Entscheidung beigetragen, sagen die drei Leitungsteam-Mitglieder. Auch die Stimmung in der Gesellschaft sei frustrierend, viele Falschmeldungen machten die Runde: „Ich bin dessen so müde, da noch darüber zu diskutieren“, sagt Wilbold-Vajagic. Viele beschwerten sich auch darüber, dass die Geflüchteten alle Smartphones besäßen. Dafür hat Wilbold-Vajagic kein Verständnis: „Das wäre auch das erste, was ich mitnehmen würde.“ Schließlich sei es nur mit den Handys möglich, auf der Flucht Kontakt nach Hause zu halten.
Die seit 2014 geschaffene Infrastruktur, unter anderem eine Kleidertruhe mit Café und eine Radstation, bei der die Flüchtlinge Anleitung zum Reparieren bekommen, können die Helfer zwar noch aufrechterhalten, sie würden aber gerne mehr tun. Schließlich werden die Aufgaben trotz geringerer Zahl an Flüchtlingen nicht weniger – auch dank der neuen Ankerzentren, die die Verfahren eigentlich beschleunigen sollen. Dennoch kommen nach Elchingen Flüchtlinge, die zum Teil anderthalb Jahre im Ankerzentrum waren und deren Asylantrag abgelehnt wurde. Nun sitzen sie trotzdem in der Unterkunft am Elchinger Dammweg „mit Papieren, die uns jetzt wieder vor eine neue Situation stellen“, wie Wilbold-Vajagic es ausdrückt. Genauer gesagt sind die Flüchtlinge „vollziehbar ausreisepflichtig“, wie es im Behördendeutsch heißt. Allerdings können sie aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden. „Die haben ein Arbeitsverbot und sitzen dann im Dammweg und können nur die Wand anstarren“, beschreibt Möller die Situation. Dabei seien die Flüchtlinge oft sogar Willens, sich zu integrieren, sofern sie nicht bereits resigniert haben. Dass die gewünschten zügigen Abschiebungen direkt aus den Ankerzentren nicht funktionieren würden, haben die Helfer bereits vorher geahnt: „Dass das stattfinden wird, war uns sonnenklar“, sagt Möller. Nun fühlen sich die Helfer vom Staat mit den von ihm geschaffenen Problemen und den demotivierten Geflüchteten allein gelassen. Das bayerische Innenministerium stand für eine Stellungnahme zum Thema nicht zur Verfügung.
Alexandra Hiersemann, Sprecherin für Asyl- und Flüchtlingspolitik in der SPD-Landtagsfraktion, ist einer Meinung mit den Elchinger Helfern: „Diese Ankerzentren an sich sehe ich offen gestanden als Problem“, sagt die Politikerin. Auch Hiersemann kritisiert die Behörden. Beamte würden die Ehrenamtlichen geradezu schlecht behandeln, anstatt sie zu unterstützen. Als Helfer müsse man „eigentlich halber Asylanwalt sein“, meint Hiersemann: „Die Flüchtlingshelfer erleben nur, dass ihnen Steine in den Weg gelegt werden.“ Andererseits würden sich auch viele Helferkreise kaum über politische und rechtliche Möglichkeiten informieren und zum Teil erst politische Unterstützung suchen, wenn es bereits zu spät sei.
Diese Unterstützung kann man unter anderem beim Petitionsausschuss des Landtages, in dem auch Hiersemann Mitglied ist. Die Abgeordnete erzählt von einem Afghanen, der bereits fünf Jahre in Deutschland war, kurz vor Abschluss eines Ausbildungsvertrags stand, aber trotzdem abgeschoben werden sollte. Ergebnis der Petition beim Landtag: Der Flüchtling darf bleiben, sofern er seinen unterschriebenen Ausbildungsvertrag nachreicht.
In Elchingen kennt man solche Fälle zur Genüge. Viele Afghanen sind bereits als Kleinkinder in den Iran geflohen oder bereits auf der Flucht geboren. Nach Jahren in Deutschland wird ihnen dann – zum Teil trotz Arbeitsplatz – die Duldung entzogen. Rund 20 Afghanen, die in Elchingen untergebracht waren, sind deshalb untergetaucht. „Das ist, wie wenn man uns Ehrenamtlichen ins Gesicht spuckt“, sagt Wilbold-Vajagic. Dass sie sich an den Petitionsausschuss wenden können, wissen die Elchinger Helfer.
In Elchingen möchte man allerdings nicht nur auf die Behörden schimpfen: Die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt habe sich im Laufe der Jahre verbessert – es gibt inzwischen eine eigene Ansprechpartnerin für die Ehrenamtlichen. Ans Aufhören denkt der verbliebene harte Kern jedoch nicht – genau wie Johannes Betlejewski. Der hat sich inzwischen eine andere Aufgabe gesucht und unterstützt jetzt eine äthiopische Familie in ihrem neuen Alltag in Deutschland. Der direkte Kontakt zu den Flüchtlingen erfüllt ihn wesentlich mehr als die Bürotätigkeit beim Flüchtlingsrat.
Verfasser: Henri Gallbronner