Der Fall Nawid Ahmadi: Zurück ins Grauen
Dienstag, 3. Juli 2018. Seit diesem Tag ist für viele von uns im Elchinger Freundeskreis Asyl nichts mehr, wie es war. An diesem Abend hob von München der berüchtigte Abschiebeflieger mit 69 Afghanen an Bord ab. Darunter: Nawid Ahmadi, der am frühen Morgen von der Polizei aus der Unterkunft im Unterelchinger Dammweg abgeführt worden war. Das war ein Paukenschlag, der uns aufrüttelte. Bis Mitte Juni waren aufgrund der unsicheren Lage im Land – und die hat sich bis heute nicht geändert, sondern noch verschlimmert – nur Straftäter und Gefährder nach Afghanistan abgeschoben worden sowie Asylbewerber, die sich ihrer Identitätsfeststellung verweigerten. Dieses Kriterium allerdings ist fragwürdig. Denn weil es schwierig ist, sich die Urkunden und Unterlagen in Afghanistan zu beschaffen, kann leicht einer zu Unrecht in den Verdacht geraten, Identitätsverweigerer zu sein. Nachvollziehbar ist aber, dass Leute, die hier gegen die Gesetze verstoßen, zurückgeführt werden. Von den 69 Afghanen, die am 3. Juli abgeschoben wurden, kamen 51 aus Bayern. Nur fünf von ihnen waren Straftäter. Die anderen waren unbescholten und zum großen Teil gut integriert. Nicht zuletzt dank der ehrenamtlichen Helfer. Viele von ihnen haben seit jenem Tag das Vertrauen in die Politik verloren. Denn es drängt sich das Gefühl auf, dass gerade diejenigen gehen müssen, die hier Fuß gefasst und einen Schritt ins Leben gemacht haben durch Schulabschluss, Ausbildung und eine feste Arbeit. Wie Nawid Ahmadi, der an diesem Tag seine letzte Prüfung zum qualifizierenden Mittelschulabschluss hätte ablegen sollen. Als die Polizei kam, verletzte er sich mit einem Messer und später mit den Handschellen an der Stirn. Zweimal wurde er in der Neu-Ulmer Donauklinik notdürftig versorgt und gegen ärztlichen Rat mitgenommen. Er bekam T-Shirt und Jogginghose, weil er nur Unterhose und Badeschlappen anhatte, als er ins Krankenhaus kam. Aber Geld, Papiere und Handy nahm ihm die Polizei ab. Bis heute weiß er nicht, wie er zum Flughafen gelangte, und erinnert sich nicht an den Flug. Am Tag danach dachte er noch, er sei in einem dunklen Zimmer in einem deutschen Krankenhaus. Was ist genau passiert? Je mehr wir recherchierten, desto mehr bestätigte sich der Eindruck, dass der 24-Jährige auf unmenschliche Art und Weise nach Kabul verfrachtet wurde.
Wir vom Freundeskreis machen uns große Sorgen um Nawid, der im Iran aufgewachsen ist und keine Angehörigen in Afghanistan hat. Er spricht das afghanische Dari kaum und wird aufgrund seiner Sprache für einen Iraner gehalten. Die sind nicht gut gelitten in Afghanistan, und umgekehrt werden die afghanischen Flüchtlinge im Iran schwer diskriminiert.
Wie wir erfahren mussten, stimmt es nicht, dass die aus Deutschland Abgeschobenen für den Start in Afghanistan Rat, Hilfe und etwas Geld erhalten. Wir konnten Nawid über Mittelsmänner seine Papiere und Geld zukommen lassen. Einmal wurde er in Kabul überfallen, zusammengeschlagen, ausgeraubt und landete im Krankenhaus. Er traut sich kaum noch auf die Straße und versucht nun, das Land zu verlassen. Seine Neu-Ulmer Schule sammelte Geld, und die Besucher beim Kino-Abend „Return to Afghanistan“ spendeten 935 Euro, um Nawids Flugticket nach Teheran zu finanzieren. So kehrt er zwar zurück zu seiner Familie, aber auch in das Land und in das Grauen, aus dem er fliehen musste.
Dr. Birgit Möller und Sigrid Thelen (Freundeskreis Asyl Elchingen)